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Seitdem ich 16 bin, zähle ich rückwärts, ich zähle die Jahre, die es noch dauern wird, bis ich mit eigenen Sinnen
erlebe, was ich in den wenigen informativen Büchern, die es über Polynesien gibt, gelesen habe. Gelesen, aber sicher
nicht verstanden. Zu fremd waren die beschriebenen Sitten und Gebräuche. Zu unglaublich die Berichte über das Wesen der
Einheimischen. Heute weiß ich, dass mir die Grundlage für das Verstehen fehlte. Die Ruhe und Gelassenheit und dazu noch
Zeit im Überfluss. So reich ist in Europa niemand mehr.
Mein erster Segeltörn auf die Gesellschaftsinseln vor 10 Jahren stand unter dem Motto: Alles sehen, nur nichts
verpassen. In den Reisemagazinen war zu lesen: Bora Bora, das verlorene Paradies. Ja ich habe die Inseln gesehen, der
Zweiwochentörn führte meine Crew und mich von Raiatea über Tahaa, Huahine und Maupiti bis nach Bora Bora, laut
Kreuzfahrtschiffprospekt der schönsten Insel Polynesiens. Wir haben dieses Polynesien konsumiert wie eine Besichtigung
des Louvre an einem einzigen Tag. Alles gesehen und nichts verstanden.
Viele außergewöhnliche Eindrücke nahmen wir mit heim, endlose Sandstrände, unbewohnte Motus (Inselchen), das
kristallklare Wasser der Lagune, die atemberaubende Unterwasserwelt schon beim Schnorcheln, das Umrunden der
vulkanischen Inseln im glasklarem Wasser von dunkelblau bis helltürkis, herrliches segeln ohne jeden Seegang,
freundliche Menschen überall - fast überall.
Bora Bora, die viel besungene Schönheit hat sich am wenigsten in mein Gedächtnis eingegraben. Von den
Missionaren über die französische Regierung bis zu den Monster-Kreuzfahrtschiffen, von denen oft mehrere gleichzeitig
vor der Hauptstadt Uturoa ankern, scheinen alle Einflüsse nur einem Ziel zu folgen, nämlich die Schönheit der Natur zu
nehmen und in dieser Natur das Leben so zu verändern, das der Besucher sich möglichst zu Hause fühlt. Ein bisschen wie
in Amerika, ein bisschen wie in Japan und ganz viel wie im alten, guten Frankreich. Die vielen Gäste der Over-Water
Bungalows, die alle schönen Lagunen überwuchern, die Kreuzfahrtgäste, die bei jedem Besuch die Einwohnerzahl der Inseln
kurzfristig verdreifachen, sie kennen es nicht anders und sie wollen es sicher auch nicht anders. Nicht falsch
verstehen, die Gesellschaftsinseln sind das schönste Segelrevier, das sich in den ca. 60.000 Meilen, die ich bisher
geloggt habe, kennen gelernt habe. Aber irgendetwas stimmte nicht. Die Sehnsucht, die mich über so viele Jahre zu diesem
Ziel getrieben hatte, war nicht erfüllt worden. Ich kam mir vor, wie jemand, der viele gute Bücher über die wahre Liebe
gelesen hat und dann seine beste Freundin heiratet.
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